SeelenSport

Eine Sternenkindmama erzählt – Wenn der Körper seine „Mutterrolle“ nicht ausleben darf

Der 08. Dezember steht wieder ganz im Zeichen aller Kinder, die viel zu früh diese wundervolle Welt verlassen mussten. Zum Gedenken stellt jeder eine Kerze an sein Fensterbrett. Manche Kinder sterben schon sehr früh. Sogar noch vor dem eigentlichen Geburtstermin, oder kurz danach. Sie werden Sternenkinder genannt. Doch wer sind die Hinterbliebenen? Neben Papa und Geschwistern, Omas und Opas sind es vor allem die Mamas, deren Körper darauf ausgelegt ist, nun ein Kind zu versorgen, um Mama zu sein. Und doch darf der Körper seine Rolle nun nicht leben. Was bedeutet ein solcher Verlust, neben den seelischen Lasten, auf körperlicher Ebene? Und hängt dies denn nicht ohnehin zusammen? Valérie, eine SeelenSport Trainerin aus Belgien musste das am eigenen Körper erfahren.

*Beitragsbild: Astrid Ebert Fotografie

Valérie und ihre Lily

Im März 2013 hielt ich nach einer ersten Fehlgeburt einen erneuten positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Das Glück schien perfekt, nachdem mein Gynäkologe uns mitteilte, dass es ein Mädchen wird. Jedoch zog das Leben uns wenige Wochen später einen dicken Strich durch die Rechnung: Nach unzähligen Untersuchungen bekommen wir in der 32. Schwangerschaftswoche gesagt, dass unsere Tochter schwerstbehindert und nicht lebensfähig ist.

Und plötzlich blieb unsere Welt stehen. Und als sie sich weiter dreht, ist nichts mehr so wie es mal war.

Und doch war eines für meinen Mann und mich schnell klar: Wir gehen den Weg gemeinsam mit unserer Tochter. So kam unsere Lily im Dezember 2013 in der 40. Schwangerschaftswoche zur Welt.
So lebendig sie auch in meinem Bauch war, so leblos legte man sie mir nach der Geburt in die Arme. Als hätte jemand einen Stecker gezogen: kein Schrei, kein Weinen, nichts. Und doch kämpfte sie sich für 28 Stunden ins Leben zurück.

28 Stunden voller Liebe und Geborgenheit, voller Tränen und Abschied.

Sie schenkte uns 28 Stunden, damit wir sie kennen lernen durften, damit wir erfahren durften was es heißt „Eltern zu sein“ aber auch damit ich verstehen konnte, dass ihr Körper viel zu krank für diese Welt ist.
28 Stunden nach ihrer Geburt, reiste Lily zurück zu den Sternen und hinterließ ein tiefes schwarzes Loch.

Der Körper möchte Mama sein…

 „Du hast deine Schwangerschaft zelebriert“ sagte mir meine damalige Chefin. Und ja, es stimmt. Ich habe mich riesig auf´s Mama werden gefreut. Als Kinderkrankenschwester wollte ich alles perfekt machen.

Angefangen mit dem Stillen – doch jetzt floss meine Milch ins Leere.

Eine Hebamme brachte mir eine Tablette, die zum Abstillen gedacht war. Glücklicherweise hat mein Körper sie gut vertragen und die Milchbildung wurde unterbrochen. Dennoch ist es mir noch nie so schwer gefallen eine Tablette zu schlucken.
Nach der Geburt kommt gewöhnlich die Zeit des Wochenbettes. Nicht bei uns. Neben der Tatsache, dass gefühlt alle Eltern dieser Welt die Entbindungsstation glücklich mit einem Baby im Arm verlassen, mussten wir unsere tote Tochter alleine im Kühlraum des Krankenhauses zurück lassen und sämtliche Dinge erledigen. Da war keine Zeit zum Hinlegen oder Ausruhen. Es folgten Gespräche mit dem Bestatter und Behördengänge.

Bei uns gab es kein Windeln wechseln, Kuscheln oder Kinderwagenschieben. Wir waren auf der Suche nach einem Sarg, suchten Texte und Lieder für die Beerdigungsfeier aus und entwarfen Zeichnungen für die Anzeige in der Zeitung. Verkehrte Welt!

Lily wurde bei uns zuhause aufgebahrt. Die Tage vor ihrer Beerdigung lebten wir sehr intensiv. Wir hatten Besuchszeiten für Familie, Freunde, Nachbarn und Kollegen. Das war uns wichtig, weil wir nicht wollten, dass Lily ein „Phantombaby“ bleibt. Es war eine wunderschöne Zeit jedoch zehrte das alles sehr an meinen Kräften und mein Körper stand kurz vor einem Zusammenbruch. Ich bekam Fieber, Schüttelfrost und starke Schmerzen im Unterbauch. Die Hebamme am Telefon meinte zu mir, das wären die Nachwehen. Neben der Tatsache, dass ich ein sehr niedriges Schmerzlevel habe, sah ich keinen Sinn die Schmerzen auszuhalten. Wozu? Meinte Tochter war tot und die Schmerzen stürzten mich nur tiefer in die Trauer. Mein Gynäkologe wollte mich aufgrund des Fiebers ins Krankenhaus einweisen lassen. Aber das lies ich nicht zu. Ich wollte die letzten Tage mit meiner Tochter bei uns so intensiv wie möglich zu leben. Waren es doch die letzten Stunden mit ihr.

Nach der Beerdigungsfeier kam die Stille. Die Stille um uns herum, die Stille in unserem Haus und auch die Stille in mir.

Jeder wollte uns in Ruhe lassen. Die Besuche blieben aus. Einige mieden den Kontakt zu uns, wechselten die Straßenseite. Mein Mann räumte sämtliche Kinderkleider weg, die ich schon im Laufe der Schwangerschaft in den Kleiderschrank geräumt hatte. Kindermöbel wurden abgebaut und im Keller verstaut.
Auch in meinem Bauch war eine große Leere eingekehrt. Da waren keine Tritte oder Stöße mehr zu spüren. Allerdings blieb die Kinderwiege auch leer. Eine unendliche Sehnsucht trat ein. Das Baby, das ich 9 Monate in meinem Bauch getragen und gespürt habe war nirgends mehr zu finden. Diese Tatsache zerriss mir regelrecht mein Herz.

Bewegt zurück ins Leben

Mein Gynäkologe schickte mich zur Rückbildungsgymnastik. Ich muss wohl die erste Sternenmama bei der Physiotherapeutin gewesen sein. Ihr Blick sprach Bände, als ich ihr unsere Geschichte erzählte. Ihre Bemerkungen waren völlig daneben. Irgendwann brach ich die Stunde bei ihr ab.
Alles kam mir hoffnungslos vor. Ich ertrug zeitweise das Glück meiner Schwestern oder meiner Freundinnen nicht, die alle Kinder hatten oder schwanger wurden.

Mein Babybauch formte sich nur sehr langsam zurück. In der Öffentlichkeit wurde ich daher mehrfach angesprochen, ob ich schwanger sei.

Als ich erklärte, dass ich gerade entbunden habe, kam die Frage nach dem Baby. Ich antwortete ehrlich und doch war es eine Antwort die mein Gegenüber nicht hören wollte, auf die er nicht vorbereitet war. Wie auch? Aber er/sie hatte ja gefragt… Es war ein absoluter Teufelskreis.

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4 Wochen nach Lily´s Tod traute ich mich zum ersten Mal in meinen Zumba® Kurs zurück zu gehen. Ich liebe diesen Sport. (SeelenSport gab es damals noch nicht 😉 ) Vor der Schwangerschaft ging ich 4 Mal wöchentlich zum Kurs. Eigentlich hätte ich 3 Monate lang nach der Geburt kein Zumba® tanzen dürfen. Aber meine Wut und Verzweiflung fanden kein anderes Ventil und so entschied ich mich alles beim Tanzen raus zu lassen. Es kostete mich enorm viel Mut den Kursraum zu betreten. Ich kam extra etwas später und stellte mich in die allerletzte Reihe. Bei den ersten Liedern liefen mir nur die Tränen runter und ich stellte mir immer wieder die Frage „Was machst du hier?“ Irgendwann bin ich über meinen eigenen Schatten gesprungen und habe einfach los getanzt. Und am Ende der Stunde spürte ich einen winzig kleinen Teil Lebensfreude in mir. Grund genug mich dem Sport zu widmen. Täglich habe ich entweder Zumba® getanzt, bin raus in die Natur zum joggen oder habe mich aufs Fahrrad gesetzt.

Heute kann ich sagen, dass der Sport mir geholfen hat meine Trauer zu verarbeiten, und das möchte ich als SeelenSport Trainerin weitergeben!

Valerie bei der SeelenSport® Ausbildung im November 2019!

Die Trauer um Lily

Wenn ich sage, dass ich um Lily trauere, dann trauere ich um einen Menschen, der mit unglaublich viel Liebe unter meinem Herzen aufgewachsen ist. Ein Mensch, den ich in seinem Wesens- und Charakterzug nicht kenne und dennoch den Eindruck habe, ihn besser zu kennen, als jeder andere, weil ich diesen kleinen Menschen 9 Monate lang getragen und gespürt habe. Lily hat uns zum ersten Mal zu Eltern gemacht. Nur sichtbar waren wir es plötzlich doch nicht mehr.
Ich habe mir 9 Monate die schönsten Zukunftspläne ausgemalt, habe Räume gestaltet, um meine Tochter willkommen zu heißen, hatte genaue Vorstellungen von unserem Leben zu dritt. Und von jetzt auf gleich musste ich von allem wieder Abschied nehmen.


Wenn ich von Lily spreche, kann ich von 7 sorglosen Schwangerschaftsmonaten sprechen, von 2 Schwangerschaftsmonaten voller Bangen und Hoffen und 28 wunderschöne Stunden der Dreisamkeit.

Mehr gemeinsame Erinnerungen habe ich nicht mit ihr. Aber es ist für mich – auch 6 Jahre nach ihrem Tod – eines der schönsten Geschenke wenn jemand zu mir kommt und mir sagt „Hey, komm. Setz´dich mal zu mir und erzähl`mir von deiner Tochter!“ Es ist für mich ein großes Zeichen von Wertschätzung. Und in solchen Gesprächen erkenne ich dann immer wieder, wie viele Herzen Lily in ihrem kurzen Leben schon berührt hat. Das macht mich als Mama stolz und glücklich.

Eine neue Schwangerschaft…

Im Juli 2015 hat Lily ein Brüderchen bekommen, Paul*. Er ist kerngesund und erhellt unser Leben. Viele haben mich gefragt, wie ich seine Schwangerschaft gelebt habe. Gegen allen Erwartungen war ich sehr glücklich und optimistisch in der Schwangerschaft. Einerseits ist es mein naturell lebensbejahend durch das Leben zu gehen. Andererseits habe ich einen unglaublich guten Eigenschutzmechanismus. Den habe ich damals in Lily´s Schwangerschaft entwickelt. Ich schaffte es innerhalb kürzester Zeit mich aus dem Jetzt weg zu „beamen“ und Kontakt mit meinem ungeborenen Kind aufzunehmen. Nur so habe ich bei Lily, wie auch bei Paul einige Arzttermine überlebt: Bei Lily waren es die Termine, bei denen die schlimmsten Diagnosen und Prognosen gestellt wurden. Und bei Paul war es praktisch bei jedem Ultraschalltermin. Ob es bei einer weiteren Schwangerschaft auch so sein wird, kann ich heute nicht beantworten. Seit Paul hatte ich zwei weitere Fehlgeburten.

Was ich definitiv sagen kann: Nichts ist selbstverständlich!

Ein Stück meiner Leichtigkeit ist verloren gegangen und die Angst um eine nächste Schwangerschaft bleibt mein ständiger Begleiter.

Nur gebe ich diesem Gefühl nicht so viel Raum. Ich versuche es zumindest. Und sollte es mir mal nicht gelingen, hilft mir die Natur, nun auch der SeelenSport oder ganz laute Musik. Dennoch habe ich weiterhin das Vertrauen ins Leben nicht verloren.
Die Geburt von Paul war wunderschön. Er hat sofort geschrien und mir und meinem Mann dadurch klar gezeigt, dass er am Leben ist. Dieser Moment war sehr emotional für uns beide. Noch viel emotionaler war das Nach-Hause-Kommen mit Baby. Überhaupt erleben wir mit Paul so viele schöne Momente, die uns jedes Mal zeigen was wir mit Lily verpasst haben. Umso glücklicher schätze ich mich, sie dennoch mit Paul leben zu dürfen. Ich genieße diese Momente, so gut es mir eben im Alltag gelingt. Aber Lily fehlt, keine Frage.
Paul ist ein sehr pflegeleichtes Kind. Er ist sehr wissbegierig, sensibel und liebevoll.

Paul weiß, dass er eine große Schwester im Himmel hat, denn sie hat ihren festen Platz in unserer Familie.

Trotz aller Höhen und Tiefen liebe ich mein Leben und meine kleine besondere Familie. Zum Glück wissen wir nicht im Voraus, was uns im Leben alles passieren wird. Rückblickend möchte ich meine Lebenserfahrungen nicht missen. Sie haben mich größer, stärker und neugieriger auf´s Leben gemacht. Und das habe ich in erster Linie einer Person zu verdanken: Lily.

Valerie, stolz mit ihrem SeelenSport®-Zertifikat und bereit andere Menschen mit ihren Gefühlen in Bewegung zu bringen!

Steckbrief:

Wo bietest du zukünftig SeelenSport® an? Belgien, 4700 Eupen
Wie können dich Menschen erreichen? v.krickel@hotmail.com
Deine Facebookseiten: Valerie und Sternschnuppe
Dein Lebensmotto: Du schuldest dem Leben das Leuchten in deinen Augen.
Lieblingsgefühl: die Lebensfreude
Unliebsamstes Gefühl: die Ungeduld


*Name wurde geändert


Ein Video-Interview mit einer weiteren Sternenmama findest du HIER!


Hast du selbst schon Fehlgeburten erlebt und wie sind deine Erfahrungen dazu? Teile sie in den Kommentaren!

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