trauer positiv

Die Verwunderung in deinen Augen, als du den Titel gelesen hast, kann ich sehr gut nachvollziehen. Was bitte soll an der Trauer denn positiv sein, fragst du dich? Vor Jahren hätte ich wahrscheinlich noch genauso gedacht. Aber nachdem ich nun alle Gefühle der Trauer durchlebt habe, durch extreme Höhen und Tiefen gegangen bin und mehr als sechs Jahre seit dem Mord an meiner Schwester vergangen sind, kann ich sagen, dass hinter all diesem Schmerz und Leid, sich auch Positives in mir entwickelte. Vielleicht helfen dir meine Zeilen, egal ob du einen Verlust erlebt hast oder nicht, das Leben mit anderen Augen zu sehen.

Bevor ich auf die einzelnen positiven Gedanken eingehe, möchte ich ausdrücklich sagen, dass es an der Tatsache selbst, rein gar nichts Positives gibt. Wenn ich von diesen positiven Dingen spreche, dann meine ich damit, meine Haltung zum Leben und der Umgang mit meiner Trauer. Passiert etwas derart Schreckliches, bist du fast gezwungen nach Positivem zu suchen. Ansonsten zerbrichst du vollkommen an der Trauer oder kommst an einen Punkt, an dem sich alles nur noch taub anfühlt. Also lass uns mal schauen, was das Leben an Schönheiten bereit halten kann, wenn wir unsere Augen und Herzen öffnen.

Dankbarkeit

Jeder von uns kennt es, das kleine Wörtchen, das schnell mal belanglos und unbedeutend zu jemandem gesagt wird. Ein Kellner, der den Kaffee bringt, eine Frau, die dir an der Kasse deine gekauften Gegenstände reicht und einen schönen Tag wünscht. Situationen, in denen uns ein kurzes Danke über die Lippen huscht. Dankbarkeit enthält aber viel mehr, als ein schlichtes „Danke“ auszusprechen. Sie ist eines der wertvollsten Dinge, die mich die Trauer lehrte. Es bedeutet trotz einem harten Schicksalsschlag, die positiven Dinge zu sehen und dafür tiefe Dankbarkeit zu empfinden.

In jede hohe Freude mischt sich eine Empfindung der Dankbarkeit.

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Als ich vor über 5 Jahren mit dem Training im Freien begonnen habe und meinen Gefühlen endlich ausreichend Raum und Zeit geben konnte, wurden mir vermehrt meine Umgebung und meine eigene Lebendigkeit wieder bewusst. Der Schmerz und die Sehnsucht blendeten meine Sicht und ich nahm die Welt nur noch verschwommen wahr.

Durch die Bewegung änderte sich dies zunehmend und ich begann meinen Blick darauf zu richten, was noch da war.

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Mein Körper lebte, mehr denn je, und meine Umgebung ebenfalls. Während jedes Trainings konzentrierte ich mich bewusst auf den Atem und mein Körpergefühl, beobachtete Bäume, Gräser und den Himmel mit größter Präzision. Mit jedem Training spürte ich noch mehr an Dankbarkeit für meine Lebendigkeit, die Fähigkeit all diese Gefühle wirklich spüren zu können und die unfassbare Möglichkeit diese besondere Art von Liebe zu erfahren. Nicht nur die Liebe zu meiner Schwester Larissa, sondern auch zu all den anderen Menschen, die mir besonders nahe standen. Für jeden einzelnen Moment mit diesen herausragenden Menschen verspürte ich eine Dankbarkeit, wo vorher nur Selbstverständlichkeit herrschte. Mit dem täglichen Niederschreiben all meiner Gedanken und Gefühle  konnte ich bereits von Beginn an meine Trauer relativ gut reflektieren. Als ich zusätzlich begonnen habe all jene Dinge, die noch sind, mir Freude bereiten und wofür ich dankbar war, nieder zuschreiben, entwickelte sich eine Zufriedenheit und positivere Haltung gegenüber dem Leben.

Jetzt bist du dran! Probier es am Besten selbst aus und schreibe dir jeden Abend 3-5 Dinge auf, wofür du heute ganz besonders dankbar warst. Es müssen keine großen Dinge sein. Es dürfen und sollen sogar auch kleine, scheinbar unwichtige Momente sein. Du wirst mit der Zeit eine viel positivere innere Haltung entwickeln und dich durch diese Dankbarkeit viel glücklicher fühlen können.

Deine Trauer wird sich dadurch nicht mindern, aber dein Ja zum Leben wird sich vergrößern und dir eine neue Sichtweise auf das Leben schenken, sodass du gestärkt mit den Gefühlen der Trauer umgehen kannst.

Leben im Hier und Jetzt

Kennst du das, wenn du während dem Essen darüber nachdenkst, was du denn noch alles einkaufen musst oder wem du noch zurückschreiben wolltest? Oder wenn du dir während dem Wochenende bereits Gedanken über die kommende Arbeitswoche machst? Wir alle leben viel zu sehr in unserer Zukunft, aber auch in unserer Vergangenheit, anstatt im Hier und Jetzt zu sein, denn nur das Hier und Jetzt ist uns sicher und fühlbar.

Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft. Konzentriere dich auf den gegenwärtigen Moment.

Buddha

Vor dem Tod meiner Schwester lebte auch ich nur in der Zukunft und sagte mir immer, irgendwann werde ich das und jenes schon machen. Ich verschwendete meine Zeit an Arbeit, die ich nicht mal mochte und verpasste mein ganzes Leben, all die Urlaube und Feierlichkeiten mit meiner Familie und meinen Freunden. Als meine Schwester dann sterben musste, lebte ich lange Zeit nur noch in unserer gemeinsamen Vergangenheit. Zukunft sah ich kaum eine für mich, ich wollte nur den nächsten Tag überleben. Jeder Tag wurde von den Schmerzen der Sehnsucht getragen, von den Wünschen, sie wieder zu sehen und zu umarmen. Das Hier und Jetzt spürte und sah ich kaum. Während meines ersten Trainings konnte ich erstmals nicht in der Vergangenheit und auch nicht in der Zukunft verweilen. Ich musste mit meinen Gedanken im Hier und Jetzt sein, da meine Übungen sehr viel an Konzentration erforderten. In diesen Momenten zählten nur die nächste Übung und mein Körpergefühl. In Verbindung mit der Umgebung und der daraus resultierenden Dankbarkeit lernte ich mich auf das Jetzt zu konzentrieren. Dazu machte ich mir immer mehr Gedanken über das Leben und dessen Vergänglichkeit.

Wenn du in deinem engsten Umfeld erfährst, wie schnell das Leben vorbei sein kann, lernst du das Hier und Jetzt als dein wertvollstes Gut zu betrachten.

Seitdem tue ich alles, was ich angehe mit dem tiefsten Bewusstsein, dass ich es jetzt und hier erlebe. Wenn ich meinen Freund küsse, dann spüre ich diesen Moment, als wäre es der erste und letzte Kuss. Wenn ich esse, konzentriere ich mich auf jede einzelne Geschmacksrichtung und genieße in vollen Zügen. Wenn ich mit meinen Liebsten zusammen bin, dann achte ich genau auf ihre Bewegungen und ihre Stimmen, ihr Lachen und ihre Herzlichkeit. Denn, das sind die Momente, die zählen und in denen du lebst.

Das Bewusstsein, dass das Leben vergänglich ist

Wir Menschen leben leider Tag ein und Tag aus, als wäre es für jeden sicher, dass er 100 Jahre auf dieser schönen Erde verbringen würde. Die Möglichkeit des Todes und der Gedanke an Vergänglichkeit wird zunehmend ausgeblendet und beinahe als fiktiv betrachtet. In Zeitungen lesen wir täglich, was alles Schreckliches passieren kann und glauben dennoch, dass es uns selbst nie betreffen könnte. Ein gar nicht so negativer Gedanke, denn so leben wir immerhin nicht in ständiger Angst und Übervorsicht. Aber, wir leben dadurch auch nicht, sondern, bereiten uns vor auf eine spätere Zeit, die am Ende niemals kommen wird. Denn das Leben passiert, wie bereits erwähnt, im Hier und Jetzt und du stirbst bereits jetzt in dieser Sekunde. Und ja, wir können auch ganz plötzlich tot sein. In der nächsten Sekunde, durch alltägliche Dinge.

Warum die Vergänglichkeit fürchten, wo wir doch von ihr leben.

Manfred Hinrich

Nein, ich möchte dir keine Angst machen, aber ich möchte dir verdeutlichen, dass dieses Leben ein wahres Geschenk ist und jeder Tag davon zählt. Wenn wir uns bewusst werden, dass es den Tod gibt und wir uns damit auseinandersetzen, dann beginnen wir das Leben mit ganz anderen Augen zu betrachten und leben viel intensiver. Auch ich habe immer geplant, was ich denn alles machen werde, so in 20 Jahren oder wenn ich mal alt bin.

Ich habe es als selbstverständlich betrachtet, dass ich alt werden würde.

Dieser Gedanke wurde erstmals mit der Diagnose Krebs bei meiner Mutter, auf den Kopf gestellt. Sätze wie:,“Sowas kommt doch nur im Film vor. Meine Familie kann doch nicht krank werden oder sterben.“, kamen mir in den Sinn. Spätestens nach dem Tod meiner Schwester existiert dieser irreführende Gedanke nicht mehr. Er wurde vielmehr ersetzt durch ein Bewusstsein, dass das Leben vergänglich ist und diese Tatsache für jeden von uns gilt.

Meines Erachtens werden wir bereits als Kinder viel zu wenig über diese Vergänglichkeit informiert. Anstatt dessen trichtert man uns diesen roten Faden des Lebens ein: Schule mit Abschluss, eine gute Ausbildung, einen erfolgreichen Job, eine Familie mit Haus und eine nette Rente zu erreichen. Perspektiven und Möglichkeiten sind gut, aber wo bleibt der Wert des Lebens dabei? Der Tod hat mich gelehrt, dass dieser rote Faden so nicht im Leben existiert und immer wieder durchtrennt werden oder seine Farbe ändern kann. Durch dieses Bewusstsein lebe ich intensiver, als jemals zuvor und verschwende meine Zeit nur an Dinge, die mich weiterbringen, mich glücklich machen und mich in meinem Sein bereichern.

Leben hat sein Maß an Leid. Manchmal bewirkt eben dieses unser Erwachen.

Buddha

Gefühle ausleben

Wir alle kennen unzählige Arten von Gefühlslagen, lernten ihre Bezeichnungen dafür ausreichend im Deutschunterricht oder haben sie dort in berühmten Werken lesen dürfen. Ihre wahre Bedeutung und wie sie sich denn wirklich anfühlen, bleibt uns allerdings oft nur in der Fantasie erhalten. Wenn jedoch der Tod an unsere Tür klopft und jemand Geliebten mit sich nimmt, dann werden all diese Gefühle plötzlich ganz real. Die Trauer enthält wohl die größte Palette an unterschiedlichen Gefühlen parat, sogar solche, die nicht einmal im Deutschunterricht gelernt oder gelesen wurden.

Wie dann, soll man sie denn verstehen, erklären oder mit ihnen umgehen können? Gar nicht. Man fühlt sie nur und das in der extremsten Form, die es nur zu fühlen gibt.

Manchmal waren sie so heftig, dass ich glaubte in der nächsten Sekunde daran sterben zu müssen. Doch auch die positiven Gefühle werden intensiviert und können sich in der Trauer entfalten. Nur selten habe ich Freude als so intensiv erlebt, wie ich es heute tue. Und das ist ein wundervoll positiver Effekt, der aus der Trauer über meine Schwester entstanden ist. Rückblickend an diese wilde Gefühlsachterbahn kann ich sagen, dass ich mich niemals zuvor derart lebendig gefühlt habe. Außerdem hat mich die Trauer deutlich gelehrt, dass Gefühle wirklich gefühlt werden wollen und es keinen Sinn hat sich ihnen zu verschließen. Sie kommen, egal, ob wir es wollen oder nicht und sie sind ziemlich hartnäckig. Dagegen anzukämpfen ist also nur eine Verschwendung an Kraft, die du ohnehin dringend brauchst.

Was wirklich zählt

Das Leben in all seinen Facetten spüren und niemals aufgeben, das zählt wirklich.

Du zählst, wirklich.

Du und dein Körper, du und deine Gefühle, du in deinem ganzen Sein, mit all deiner Trauer und Lebensfreude. Es zählt, mit sich im Reinen zu sein, sich für sein Leben und seine Gefühle Zeit zu nehmen. Sich für andere Menschen einzusetzen und ihnen eine helfende Hand zu reichen. Es zählt die Liebe und das Vergeben, das Ja zum Leben zu sagen, aber auch das Ja zur Traurigkeit. Es zählt dem Leben mit Dankbarkeit zu begegnen und sich mit liebevollen Menschen zu umgeben. Es zählen Momente im Hier und jetzt, diese voll und ganz zu genießen und daraus deine Kraft zu schöpfen. Es zählt die Liebe in deinem Herzen und der achtsame Umgang damit. Es zählt die Bewegung deines Körpers und deiner Seele in eine positive Richtung.

Du zählst. Jetzt. Hier. Denn du lebst. Jetzt und Hier.


Hast auch du bereits positive Ansichten in deiner Trauer entwickeln können oder kämpfst du noch damit und dein Schmerz ist noch zu groß? Gib dir die Zeit!