Wieder ist es passiert. Ein weiterer Frauenmord in Österreich. Ich hatte mir ein freies Wochenende gegönnt, als ich plötzlich in den Nachrichten las, dass eine junge Frau (31) von ihrem Mann ermordet wurde. Ähnlich wie meine Schwester Larissa wurde sie erstickt und im Inn entsorgt. Sofort musste ich an die Angehörigen denken und auch an die Menschen, die ihnen auf der Straße begegnen werden. Und damit an die neugierigen Fragen, die einen quälen und verletzen, denen du als Angehörige hilflos ausgeliefert bist, einfach weil die Kraft fehlt Stopp und Nein zu sagen. Deshalb möchte ich hier aufzeigen, welche Fragen bei Angehörigen nach Frauenmorde und Gewalttaten an Frauen vermieden werden sollten und wie du wirklich helfen kannst!

Dieser Artikel bezieht sich bewusst auf die Thematik Gewalt an Frauen, weil meine Schwester ermordet wurde. Frauengewalt ist weltweit ein systematisches, gesellschaftliches Problem. Gewalt an Männern gibt es genauso (circa 10% der Opfer), doch dafür bin ich die falsche Ansprechpartnerin und habe keine Erfahrung dazu.

Meistens entstehen diese Fragen und Sätze nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus der menschlichen Neugierde nach dem Extremen und Abartigen heraus und oft auch aus Hilflosigkeit. Trotzdem liegt es an jedem von uns, hier rücksichtsvoll und respektvoll damit umzugehen. Denn Fragen und Aussagen im Gewaltbereich können stark retraumatisieren. In meinem Buch „Larissas Vermächtnis“ erzähle ich von solchen Situationen und deren Umgang damit. Ich habe es geschrieben, um den Umgang zu verändern, gleichzeitig Menschen aufzufangen, die einen Verlust erlebt haben. Welche Sätze rund um die Trauer vermieden werden sollten und Vorschläge, ums besser zu machen, findest du in diesem Artikel!

Da war die Situation, als Menschen auf der Straße auf mich zukamen und mit mir die neuesten Details aus den Medien, über die Art ihres Sterbens, diskutieren wollten. Ohne Rücksicht und Nachfrage wurde erzählt, wie meine Schwester ihren Todeskampf erleben musste. Ich als Angehörige kannte nicht jedes Detail, wollte es noch nicht wissen, weil ich noch nicht bereit dazu war. Dann erfuhr ich es plötzlich mitten auf der Straße. Ich war nahe einem Zusammenbruch. Die Medienberichterstattung über Frauenmorde und Gewalt an Frauen trägt hier Verantwortung, wie auch die Menschen, die scheinbar manchmal nicht nachdenken.

Gewalt an Frauen passiert viel zu oft noch in unserem Alltag, hinter den vier Wänden, wo wir es nicht mitkriegen oder nicht mitkriegen wollen, aber auch mittendrin, im öffentlichen Leben. Es beginnt im klitzekleinen mit einem bösartigen Wort, das Frauen unbewusst/bewusst als herabwürdigend bezeichnet (siehe den tollen Ludersager in Tirol) und endet mit Mord. Dazwischen gibt es eine breite Palette an Gewalttaten. Das Problem: Die Konsequenzen sind oft zu milde oder bleiben ganz aus.

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Doch wir müssen noch mehr an den Anfang gehen, dort wo Gewalt zu keimen beginnt. Wir müssen anfangen die Machtstrukturen zu hinterfragen, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen. Wir müssen beginnen Begriffe zu wählen, die die Sache beim Namen nennen und nicht verharmlosen. Wir müssen hinschauen und darauf aufmerksam machen, helfen und unterstützen, wenn wir Gewalt an Frauen im Alltag mitkriegen, anstatt sich wegzudrehen und abzuwenden.

Du kannst es besser machen!

Typische Fragen nach Frauenmorden und Gewalttaten:

Wie genau wurde sie denn ermordet?

Wenn man weiß, dass sie erwürgt/erschossen/erschlagen oder was auch immer wurde, dann braucht es keine genauen Details zu wissen. Gibt es eine mögliche Beziehung, egal ob beruflich oder privat, dann kann die Todesursache (ohne genaue Details) helfen, mögliche Trigger präventiv zu vermeiden. Ich kann zb. keine Filme sehen, in denen eine Frau gewürgt wird. Freunde weisen dann immer daraufhin, wenn sie zb einen Film empfehlen und eine solche Szene darin vorkommt. Ich kann auch nicht von meinem Freund (und auch sonst niemandem) am Hals berührt werden. Für das Gegenüber ist wichtig, zu wissen, warum, um zu verstehen, aber es braucht keine genaue Auflistung jeder einzelnen Minute.

Woher kommt der Täter denn?

Ein Problem, das uns sehr im deutschsprachigen Raum betrifft. Zu anderen Ländern kann ich hier nichts sagen. Es war die häufigste Frage, die mir gestellt wurde.

Wenn ich antwortete „aus Tirol“, bekam ich gleich noch die Nachfrage: „Auch ursprünglich, also wirklich?“
„Ja verdammt, wirklich und welche Rolle spielt das nun gerade?“

Dann kam oft die Antwort mit Erstaunen: „Oh, okay. Krass, das muss ein Einzelfall sein. Weil normalerweise sind es ja die Asylanten/Schwarzen/Araber (noch 10 könnte ich listen), die jemanden umbringen. Bei denen ist das ja normal. Aber Tiroler? Der muss verrückt gewesen sein, oder krank.“

Meine Schwester ist tot. Glaubt ihr da wirklich ich möchte mich nun über die Herkunft des Täters unterhalten? Diese Diskussion könnt ihr mit anderen führen, aber nicht mit den Angehörigen selbst unmittelbar nach einer Tat. Sie sind nicht da, um euren Fremdenhass aufzufangen.

ABER: Bei rassistisch veranlagten Morden spielt die Herkunft eine sehr große Rolle. Auch hier werden strukturelle Ungleichheiten wieder deutlich, die sich mit der Rolle der Frau noch verstärken. Wie wir zb. beim Fall Atatiana Jefferson gesehen haben. Trotzdem soll es nicht an den Angehörigen hängen bleiben, diese Debatte dann so kurz danach inmitten eines Alltags zu führen. Es belastet die Traumatisierten nur noch mehr und kostet Kraft. Denn der Fremdenhass des Gegenübers ist oft unerträglich und nur schwer auszuhalten.

Und Gewalt geht nicht auf ein Herkunftsland zurück, sondern auf ein übergeordnetes Problem, eine ungleiche Machtverteilung zwischen Mann und Frau, und das weltweit.

Was hat sie denn getan, dass das passiert ist?

„WAS BITTE? SIE? Höre ich gerade richtig?“
Das war ebenfalls eine sehr häufig gestellte Frage und noch nachgesetzt mit: „Hat sie ihn provoziert?“
Eine Frage, die auch viele Frauen nach Vergewaltigungen und Gewalttaten zu hören bekommen. Dort hinein fällt ebenfalls die Frage: Was hatte*st sie*du an? Auch mir wurde diese Frage gestellt, nachdem ich von einem Bierlieferanten am helllichten Tag in jungen Jahren fast vergewaltigt wurde. Es war übrigens ein Rollkragen Pulli und Jeans. Wenn es also ein kurzes Kleid gewesen wäre, hätte ich Mitschuld gehabt? Ahaaaaaa…

Larissa hatte sich fröhlich mit einem Kollegen von mir unterhalten. Dafür musste sie sterben. Sogar wenn sie nackt mit einem anderen Mann vor ihrem Mörder getanzt hätte, darf es kein Grund für einen Mord geben. Mord braucht keine Ursache, denn kein Verhalten rechtfertigt diesen.(Nachvollziehbarer: der Mensch wird im Gefecht selbst mit dem Leben bedroht – und wehrt sich, um zu überleben).

Wir müssen also aufhören, den Frauen eine Mitschuld an den Taten zu geben. Sie sind nicht Schuld, dass sich ein Mensch für eine Gewaltausübung entscheidet.

Hast du denn nichts gemerkt?

Auch eine Frage, die ich immer wieder hörte. Ob mir denn an ihm nichts aufgefallen ist, oder vorher schon was passiert war. Schuldgefühle quälen Angehörige manchmal jahrelang. Da ist keinesfalls förderlich, ihnen durch Fragen noch mehr Schuldgedanken einzutrichtern. Wie sehr sie mich beschäftigt haben und wie ich damit umgegangen bin, kannst du ebenfalls in meinem Buch nachlesen!

Wie hat der Mörder ausgesehen/was hatte er an/wo hat er gearbeitet…?

Die Neugierde über den Mörder war enorm. Jeder wollte alles genau von ihm wissen, so als ob sie selbst nach Hinweisen suchen wollten, die offensichtlich machten, dass er ein typischer Mörder ist. Leider gibt es das nicht. Von außen sind Mörder meist nicht zu erkennen. Gewalttaten in der Vergangenheit geben Hinweise auf eine Gewaltneigung, aber auch hier wird nicht jeder immer zum Mörder. Da sind viele Faktoren, die in einem Moment zusammentreffen müssen. Auch ich habe nach Antworten gesucht, wie Menschen etwas derart Schreckliches tun können. Ein gutes Buch hier ist das von Reinhard Haller.

Wenn dich Hintergründe also interessieren, frage bitte nicht die Angehörigen selbst danach aus!

Ich hoffe er verreckt brutal, wo er jetzt ist, die Todesstrafe sollte es wieder geben!

So viele haben ihre Wut und ihren Hass mit mir geteilt. Wut ist gut und es braucht sie, aber derart heftige und brutale Ausdrücke, die oft gefallen sind, haben mir Angst gemacht. Als Angehörige ist es eine ganz andere Wut, die dich durchströmt, die manchmal in Hass enden kann. Ich wollte kein Mensch sein, der selbst nicht besser war, wenn er einem anderen Menschen den Tod wünschte. Doch natürlich waren diese Gedanken da und als Angehörige sind sie vollkommen normal.

Irgendwann jedoch musst du dich entscheiden, ob du den Hass in dir behalten willst, dich vergiften lässt und dein Leben so leben möchtest. Denn für Liebe ist kein Platz mehr, wenn der Hass dich erstmal eingenommen hat. Also habe ich mich für die positiven Dinge entschieden, die mir gut tun und mich unterstützen. Larissa hätte das genauso. Jeder Tag davon war ein Kampf gegen das Böse in mir und es hat es nur schwerer gemacht, wenn andere Menschen ihren Hass und all die brutalen Fantasien auf uns Angehörige abwältzen. Es unterstützt keinen darin, mit der Trauer umzugehen. Also hasst bitte woanders!

Denn egal, wie brutal wir uns wünschen gegen Frauenmorde vorzugehen, Gewalt löst das eigentliche Problem nie, sondern schafft nur noch mehr Gewalt! Nur Liebe kann Gewalt vorbeugen, und das in seinem anfänglichen Keimungsprozess.

Warum hast du dich nicht getrennt?

Viele Frauen bleiben über Monate und Jahre in einer gewalttätigen Beziehung. Dann fragen sich viele: Warum geht sie einfach nicht? Wer es selbst nicht erlebt hat, kann sich das nicht vorstellen. Gewalt beginnt meistens mit Worten und Beleidigungen und ökonomischer Gewalt, geht erst dann über in physische Gewalt. Gewalttäter sind perfekt darin, sein Opfer in die Enge zu treiben und an sich zu binden. Sie wenden anfangs Einschüchterungen an und nehmen einem das komplette Selbstbewusstsein.

Ich habe es selbst erlebt. Ich lernte meinen damaligen Freund knapp ein Jahr nach Larissas Tod kennen. Ich war traumatisiert und ohnehin verängstigt. Das nützte er geschickt für sich. Nachdem er mein Inneres praktisch zerstört hatte und nichts mehr von der Katrin da war, die es einmal gab, ging er über zu Drohungen. Er drohte mir, mein Leben zu zerstören, wenn ich nicht gehorche…

Monate später packte ich meine notwendigsten Dinge und flüchtete vor ihm. Eine Zeit der Hölle wartete auf mich, denn die zeit der Trennung ist die schlimmste und gefährlichste für Frauen. Dort passieren die meisten Gewaltübergriffe und Morde. Aber sie ist nun mal auch die einzige Chance loszukommen. Ich hatte Hilfe von der Polizei, von einer Therapeutin und ein paar Freundinnen, die mir glaubten. Manche haben niemanden, der einem glaubt. Das ist leider zu oft der Fall. Deshalb unbedingt sich immer professionelle Hilfe auch von Fraueneinrichtungen zu holen! Sie helfen und sind da! Ich weiß, dass er mich heute noch beobachtet und vielleicht liest er das hier sogar gerade. Aber ich habe keine Angst mehr und werde kämpfen, wann immer ich muss.

Die meisten erleben Bedrohungen nicht nur auf das eigene Leben, sondern vor allem auf das der Kinder. Sie haben Angst, dass er die Drohungen wahr macht und bleiben deshalb bei ihm. Ein Teufelskreislauf, der sehr viel Mut braucht und Unterstützung!

Was kannst du sagen/fragen, um zu unterstützen?

Nach Mord: Frage nach der Verstorbenen!

Wer war sie? Wie war sie? Hast du ein Foto von ihr? Erzähle mir, was hat sie ausgemacht?

Als ich bei der Kundgebung in Innsbruck war, habe ich eine Bekannte der Verstorbenen getroffen. Sie stand neben mir und wir schauten auf ihr Foto, das groß am Boden lag. Ich sagte: „Sie scheint, ein richtig sonniges Gemüt gehabt zu haben. So strahlend und lebenslustig. War sie auch so?“ Im Gesicht der Frau erstrahlte ein Lächeln, sie sprudelte herzerwärmende Erinnerungen heraus, während ihr Tränen hinunter liefen.

Die Kraft der Erinnerungen und die verstorbene Person ins Zentrum zu holen ist für die Angehörigen eine heilsame Geste. Dadurch kann den Gefühlen der Trauer Raum gegeben werden, die verstorbene Person wird für einen Moment „lebendig“ und ihre Liebe allgegenwärtig.

Alles Traumatische, rund um die Tat selbst, sollte mit Fachkräften behandelt werden, da es heftige Gefühlsausbrüche und Folgen hervorrufen kann.

Nach einer Gewalttat: Frage nach dem Opfer und wie du vielleicht helfen kannst! Höre zu, ohne zu bewerten und zu urteilen. Gib den Gefühlen ihren Raum, die Opfer und Angehörige beschäftigen.

Ehrlichkeit

Eine solche Tat schockiert jeden und lässt uns fassungslos zurück. Sage genau das, wenn dir die Worte fehlen. Erzähle, wie bestürzt dich die Situation macht und frage direkt nach, was der Mensch nun braucht.

Praktische Hilfe

Manchmal braucht es nicht zwingend die richtigen Worte, sondern ein aktives Handeln, das stützend wirkt. Eine Umarmung, ein Halten der Hand, eine Hand auf die Schulter legen, miteinander weinen, etwas Nährstoffreiches kochen, einkaufen gehen, im Haushalt helfen…


Du bist selbst oder ein*e Freund*in von dir von Gewalt betroffen?


Hier findest du Hilfe:
Österreich
Deutschland
Schweiz
Für Männer:
Österreich
Deutschland
Schweiz


Heute setze ich mich selbst sehr für diese Thematik ein und halte Vorträge an Schulen, bei Organisationen, gebe Workshops etc. Falls du daran interessiert bist, dann schau gerne bei meiner Personen-Seite vorbei: www.katrin-biber.com