Suizid. Manche sagen noch Selbstmord, jedoch sollte dieser Begriff nicht mehr verwendet werden. Streichen wir ihn aus unserem Wortschatz. Hier erfährst du warum. Ich habe keine persönliche Erfahrung, keinen Bezug zu dieser Todesursache und doch hörte ich früher immer wieder davon. Und war schockiert, entsetzt, fassungslos, wie jeder von uns. Und dann kommt immer diese eine Frage nach dem Warum, auf die es niemals eine Antwort geben wird. Wie geht man um, wenn sich ein geliebter Mensch das Leben nimmt? Was ist anders in Bezug auf andere Todesursachen? Hier ein Erfahrungsbericht.

Der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention. Anlässlich dessen habe ich diesen Erfahrungsbericht einer mutigen Frau zusammengefasst, um auch dieser tabuisierten Thematik der Trauer einen Ort zu geben, der dir vielleicht Hoffnung und Mut gibt, mit dieser einzigartigen Trauer umzugehen.

Karin war eine Teilnehmerin in meiner ersten SeelenSport Erholungswoche. Sie war von Anfang an ein sehr lebendiger, offener Mensch, mit einem großen Herzen und lautem Lachen, das einen auf Anhieb ansteckt. Ihr Mann Josef nahm sich das Leben. Er war 48 Jahre alt. Sie selbst hat ihn am 18.07.2017 gefunden. Seit der Erholungswoche hat sich viel für sie verändert. Sie bewegt sich wieder regelmäßig, hat mit dem Rauchen aufgehört und sie wird eine der ersten SeelenSport TrainerInnen im Raum Wien/Niederösterreich werden.

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Liebe Karin, wenn du Josef in einem Satz beschreiben müsstest, wie war er so, was hat ihn ausgezeichnet?

Josef war ein sehr liebevoller Mann, ein treuer, zuverlässiger Partner. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen und er ging mit mir durch gute und schlechte Zeiten. Er war für mich der Fels in der Brandung.

Was hat eure Beziehung besonders hervorgehoben?

Wir haben uns sehr jung kennengelernt; er war 19 und ich 16. Das heißt, wir sind zusammen erwachsen geworden. Wir haben uns gemeinsam entwickelt. Das Besondere war, dass wir nicht nur gute Zeiten durchlebt haben. Ich habe Endometriose und konnte dadurch keine Kinder bekommen. Es folgten mehrere OPs und die Situation war eine extreme Belastung für unsere Ehe. Aber wir haben das durchgestanden und das hat uns extrem zusammengeschweißt. Josef war nicht nur mein Mann, sondern auch gleichzeitig mein bester Freund.

Karin und Josef

Ihr habt zusammen gelebt, in eurem gemeinsamen Haus. Kannst du den Tag beschreiben, als du ihn nach dem Suizid gefunden hast?

Es war der 18.7.2017. Ich bin abends nach Hause gekommen und habe ihn gerufen, um ihn zu begrüßen, wie ich das immer machte, wenn ich heimkam. Ich bekam keine Antwort. Dann dachte ich, er wird wohl schon schlafen gegangen sein, er war an diesem Tag sehr müde. Ich ging ins Schlafzimmer, da war er nicht. Es war Sommer und so ging ich zur Terrassentür. Ich sah die Silhouette von ihm und dachte mir, er werkt in unserem Pavillon herum – er war Tischler und werkte permanent an irgendetwas herum – und machte die Tür auf. Ich sagte: „Hallo Bär, was machst du?“ Und dann sah ich, dass er sich erhängt hatte…

Ich versuchte ihn zu halten und schrie ihn an. Dann dachte ich nur: „Du musst 144 wählen. 144. 144.“ Nur meine Finger gehorchten mir nicht. Ich war nicht in der Lage die Ziffern am Handy einzutippen. Irgendwie habe ich es geschafft (ich weiß heute nicht mehr wie) den Kontakt unseres besten Freundes zu wählen und ich habe ihn angerufen und habe nur gesagt: „Josef hat sich aufgehängt“. Dieser Freund kam dann mit seiner Frau, rannte ins Haus (ich stand schon vor dem Haus) und auch er schrie Josef an. Dann hat er mich aus dem Haus gebracht, Notarzt und Polizei gerufen. Ich saß mit seiner Frau vor dem Haus. Sie hielt mich einfach nur fest. Dann irgendwann kam der Notarzt, der nur noch den Tod feststellen konnte. Die Polizei, für die der Tathergang auch eindeutig war, wünschte mir Beileid und fuhr rasch wieder weg. Dann kam der Bestatter und sie nahmen ihn mit. In der Zwischenzeit habe ich meine Eltern angerufen, die sofort kamen. Ich bin dann mit ihnen mitgefahren und habe auch bei ihnen übernachtet. Am nächsten Tag war der erste Weg zum Bestatter…

Wie waren die ersten Wochen für dich danach?

Die ersten Wochen liefen ab wie im Film. Das war alles nicht echt. Das war so unfassbar. Ich erledigte mit Hilfe meiner Familie und meinen Freunden alles, was so zu tun war. Ich organisierte das Begräbnis, erledigte alle Amtswege, ich habe einfach nur funktioniert. Das ging 2 Wochen so. Ich brachte die Beerdigung hinter mich, die im allerengsten Familienkreis stattfand. Sehr ruhig und irgendwie heilig. Nach 2 Wochen dachte ich mir, ich könnte wieder arbeiten gehen. Das habe ich 1 Woche lang gemacht und dann kam der Zusammenbruch und ich ging 4 Wochen in den Krankenstand. Da waren so starke körperliche Schmerzen, dass ich glaubte, die bringen mich um. Ich dachte, mein Brustkorb zerreißt. Es tat alles nur weh.

Die größte Frage, was sich Menschen danach immer stellen ist das Warum? Wie bist du mit dieser Frage umgegangen?

Diese Frage hat mich sehr lange beschäftigt und manchmal stelle ich sie mir heute noch. Ich hatte das Glück, dass meine Freunde dabei waren und wir saßen stundenlang auf der Terrasse und redeten fast ganze Nächte hindurch um auf das Warum zu kommen. Das hat uns allen dreien sehr geholfen. Ich entschloss mich dann relativ schnell dazu, mir Hilfe zu holen und ging zu einem Psychotherapeuten. Das hat mir gut geholfen, zu akzeptieren, dass ich mich dem Warum maximal annähern kann, aber nie wirklich wissen werde, warum er das getan hat. Ich musste lernen,  zu akzeptieren und zu respektieren, dass es sein Weg war.

Ich habe mir dann auch immer wieder die Frage gestellt, was es ändern würde, wenn ich das Warum kennen würde. Der Schmerz bliebe ja derselbe…. Und irgendwann habe ich dann begriffen, dass ich nie eine Antwort erhalten werde.

Wie hat die Gesellschaft auf diesen schweren Verlust reagiert? Wie hat sich die Begegnung mit den Mitmenschen für dich geändert? Vielleicht magst du ein Beispiel aus deinem Alltag erzählen?

Tja, das ist eine gute Frage. Da hatte ich so meine Erlebnisse. Nach so einem Ereignis trennt sich rasch die Spreu vom Weizen. Es gab Menschen, die mich sahen und sich schnell aus dem Staub machten – die rannten regelrecht vor mir davon. Es gab „Freunde“, die sich plötzlich nicht mehr gemeldet haben. Erst dann viel später wieder, als ich wieder halbwegs stabil war. Diese Menschen zählen heute nicht mehr zu meinem Freundeskreis. Da war ich ziemlich radikal. Von diesen habe ich mich getrennt.

Und dann gab es die anderen, die mich unterstützt haben. Immer wieder nach mir gefragt haben, sich immer wieder bei mir gemeldet haben. Sie waren einfach da. Sie gaben mir auch die Zeit, die ich brauchte und akzeptierten meine Stimmungsschwankungen. Sie hatten einfach keine Angst vor mir und meinen Gefühlen. Diese Menschen habe ich extrem zu schätzen gelernt und das hat uns auch stark zusammengeschweißt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ich habe mich insofern verändert, dass ich keine Zeit mehr mit oberflächlichen Beziehungen verschwende. Ich kann heute sagen, die Freunde, die ich habe, die gehen mit mir durch dick und dünn, und ich würde das umgekehrt auch für sie tun.

Eine weitere große Diskussion gibt es bei Suizid auch immer, wenn es um die Frage eines Abschiedsbriefes geht. Wie war das bei dir und Josef? Gab es einen und wie bist du mit der Tatsache (k)eines Briefes umgegangen?

Josef hat keinen Abschiedsbrief geschrieben. Ich bin ehrlich gesagt froh darüber, dass er das nicht getan hat. Ich hätte nicht lesen wollen, dass er offenbar so verzweifelt war, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah. Ich weiß, dass mich Josef so geliebt hat, dass er, hätte er für sich eine Möglichkeit gesehen, weiterzuleben, das auch getan hätte. Er hätte mich nie allein gelassen. Das weiß ich, dazu brauche ich keinen Brief.

Wie hat sich dein Leben in weiterem Verlauf für dich verändert? Im Positiven, als auch Negativem?

Mein Leben hat sich extrem verändert. Es stand ja alles von einer Minute auf die andere völlig auf dem Kopf. Ich hatte zuvor nie alleine gelebt. Das musste ich erst lernen. Ich musste mir gewisse Rituale abgewöhnen und neue angewöhnen, weil sie nur weh taten (z.B. frühstücke ich nicht mehr zu Hause, weil das immer „unser Frühstück“ war. Allein zu frühstücken war einfach zu schmerzhaft für mich.)

Ich musste mir einige handwerkliche Fähigkeiten aneignen, weil ich plötzlich allein mit einem Haus dastand. Ich wusste anfangs gar nicht, was alles zu tun war, weil sich mein Mann um diese Dinge gekümmert hatte. Das musste ich alles erst lernen; da passierten natürlich auch einige Hoppalas.

Aber insgesamt kann ich sagen, dass mich das alles zu einer sehr starken Frau gemacht hat. Ich habe so viele Ängste verloren, die ich vorher hatte. Weil ich mir immer denke: Wen du so etwas überlebt hast, dann kannst du alles schaffen! Ich habe mich auch sehr gut kennengelernt. Ich musste mich ja bzw. wollte ich das auch, intensiv mit mir auseinandersetzen. Ich habe mich nicht abgelenkt, sondern habe wirklich aktiv und bewusst getrauert. War hart, würde ich aber wieder so machen. Also von daher bin ich ein komplett anderer Mensch geworden. Ich lebe sehr bewusst, vergeude meine Lebenszeit nicht mit Kleinigkeiten. Ich habe mir das Jammern auf hohem Niveau komplett abgewöhnt und halte die Jammerei von anderen auch nur mehr schwer aus. Ich lebe extrem gerne und weiß jetzt, dass ich mein Leben allein meistern kann. Das gibt mir eine große Zufriedenheit. Ich bin total mit mir im Reinen. Wer kann das schon von sich behaupten?

Was würdest du jemandem sagen, der selbst einen Menschen an Suizid verloren hat?

In der Trauer hat mir das Reden über meine Gefühle, über Josef und über meine Bedenken/Ängste enorm geholfen. Ich musste ganz viel reden und ich hatte neben dem Therapeuten auch Gott sei Dank das entsprechende Umfeld dazu.

Bei Suizid ist das Schuldthema ein großes. Aber an Suizid hat niemand Schuld. Nicht einmal der Suizident selbst. Das sind Vorgänge, die nicht zu erklären sind. Suizidenten wollen ja in dem Sinn nicht sterben, sie sehen nur keine Möglichkeit weiterzuleben. Das muss so ein seelischer Schmerz sein, dass wir „gesunden“ Menschen uns das nicht vorstellen können.

Weiters ist es auch wichtig, die Wut zuzulassen. Die Wut auf den Verstorbenen, die Wut auf das Leben, die Wut auf Gott, etc. Die darf sein und die muss auch sein.

Hört auf die Frage nach dem Warum zu stellen. Die führt zu nichts. Man kommt da nicht hin. Sondern versucht, die Entscheidung des Verstorbenen zu respektieren. Ich habe mir immer gedacht, dass ich kein Recht darauf habe, über das Leben eines anderen zu entscheiden. Auch nicht, wenn es mir das Herz rausreißt. Aber es steht mir einfach nicht zu.

Und als letztes noch: Gebt euch Zeit. Trauer braucht Zeit. Und es gibt keine Abkürzung in der Trauer. Es ist ein Aushalten, ein Akzeptieren. Und irgendwann wird es besser. Ich habe nie gedacht, dass es einmal besser werden könnte. Aber es tut es. Aber es braucht Zeit. Und jeder hat sein eigenes Tempo. Es gibt keine Vorgabe, wie lange Trauer andauern darf. Das ist individuell und da darf man sich keinen Druck machen.

Zum Abschluss noch… Was bedeutet für dich die Bewegung in der Trauer, konkret vielleicht nun auch der SeelenSport®?

Bewegung war/ist für mich ein Heilmittel. Das Beste, was man gegen schlechte Gefühle tun kann. Wenn ich wieder einmal einen schlechten Tag hatte, zog ich mir die Laufschuhe an, schnappte mir meinen Hund und ging laufen oder anfangs walken. Mein Körper war in der ersten Zeit der Trauer so geschwächt, dass ich froh war, wenn ich mit dem Hund eine kleine Gassi-Runde geschafft habe.

Und dann hatte ich das Glück SeelenSport kennenzulernen in der Erholungswoche bei Katy. Beste Entscheidung ever, dass ich diese gebucht habe. Die Übungen sind auf Trauernde perfekt abgestimmt. Ich begann mich in dieser Woche wieder zu spüren. Würde ich jedem empfehlen! Da kann man nur gewinnen. Ich bin ein absoluter SeelenSport® – Fan und bin auch sehr dankbar, dass Katy dieses Konzept entwickelt hat. Ich konnte plötzlich wieder durchatmen, so richtig atmen. Ich wurde wieder beweglich, denn der Schock hat meinen Körper total gelähmt. Also wirklich eines der besten Dinge, die man in der Trauer für sich und seinen Körper tun kann!

Informationen und Hilfestellungen

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Mittlerweile gibt es auch Bücher über diese Thematik. (Mit Klick auf die Bilder kommst du direkt zum Bestellen)

Warum nur? Trost und Hilfe für Suizid-Hinterbliebene von Freya v. Stülpnagel:

Ich konnte nichts für dich tun. Trauern und weiterleben nach einem Verlust durch Suizid von Eva Terhorst.

Falls du selbst von Suizidgedanken geplagt bist, oder jemanden kennst, der solche Gedanken hat, gibt es auf dieser Seite in Österreich weitere Hilfe dafür oder HIER wenn du in Deutschland lebst!

Ein besonderes Projekt, das zwei wundervolle Eltern nach dem Suizid ihrer Tochter ins Leben gerufen haben ist Eine Chance zum Glück. Sie setzen sich in der Präventionsarbeit mit vollem Tatendrang ein!


Wie sind deine Erfahrungen dazu? Bist du selbst als Angehörige betroffen? Wie gehst du damit um?